Andreas Zeller

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Andreas Zeller is faculty at the CISPA Helmholtz Center for Information Security and professor for Software Engineering at Saarland University. His research on automated debugging, mining software archives, specification mining, and security testing has proven highly influential. Zeller is one of the few researchers to have received two ERC Advanced Grants, most recently for his S3 project. Zeller is an ACM Fellow and holds an ACM SIGSOFT Outstanding Research Award.

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7 October 2014

Wie Universitäten die "Industrie vor Ort" unterstützen können: Firmen gründen, statt Firmen nachzueifern

by Andreas Zeller

Forscher stehen unter Druck, Probleme der Industrie vor Ort zu lösen.  Dies verkennt jedoch die Rolle der Universitäten.  Würden Länder und Universitäten aber Firmengründungen besser unterstützen, wäre allen geholfen, meint Andreas Zeller.

Ein Kollege von mir hat sich unlängst an einer deutschen Universität auf eine Softwaretechnik-Professur beworben.  Im Bewerbungsgespräch ging es neben zukünftiger Forschung und Lehre vor allem um die Frage, "wie er denn der lokalen Industrie helfen könnte".  Die lokale Industrie: das ist ein Mix von mittelständischen Unternehmen, die vor Ort Produkte wie Bleistifte oder Autoteile produzierten.  Mein Kollege gab wahrheitsgemäß zur Antwort, dass seine Forschung vorwiegend in der Software-Erstellung eingesetzt werde; er wäre dementsprechend international ausgerichtet.  Diese Antwort schien der Kommission aber nicht zu gefallen; und so erhielt er eine freundliche Absage.

Die Frage, "was man denn für die lokale Industrie tun könnte", ist mir als Forscher schon mehrfach begegnet.  In Verhandlungen für eine Professur an einer norddeutschen Universität wurden mir stolz die fünf Büroräume präsentiert, die für die "vielen lokalen Projekte" reserviert waren, die ich sicherlich "bald akquirieren würde".  Die Landesregierung des Saarlandes hat die hiesige Informatik durch die Blume wissen lassen, dass sie es trotz aller Erfolge der Saarbrücker Informatik gerne sähe, wenn es mehr Kooperationen "vor Ort" gäbe, von denen die "lokale Wirtschaft" profitierte.

Die Forderung nach "Kooperation vor Ort" ist zunächst einmal nachvollziehbar.  Hier bin ich, der Leiter eines mittelständischen Unternehmens, und ich habe große Probleme mit meiner IT.  Zufälligerweise gibt es nur wenige Kilometer entfernt eine große Universität, voll mit Informatikern, die Ahnung haben.  Da liegt es doch nahe, zu fragen, ob die nicht helfen können.  Und da die Universität meistens aus Landesmitteln finanziert wird, die zudem aus meinen Steuern kommen, könnte das Land doch entsprechend Druck ausüben, richtig?

Diese Denkweise verkennt jedoch die gesellschaftliche Rolle einer Universität.  Universitäten haben zum einen die Aufgabe, Forschung zu betreiben – und sich mit Fragen zu beschäftigen, die in der Regel zu abseitig oder zu risikoreich sind, um damit unmittelbaren wirtschaftlichen Gewinn zu erzielen.  Es kann Jahre, gar Jahrzehnte dauern, bis Forschungsergebnisse außerhalb der Universitäten aufgegriffen werden.  Immer wieder aber gelingt der eine oder andere Durchbruch, der ohne langjährige freie Forschung gar nicht möglich gewesen wäre, und davon profitiert die Gesellschaft als Ganzes.

Damit die Gesellschaft aber Nutzen von Forschung ziehen kann, müssen Forscher wissen, welche Probleme es zu lösen gibt.  Als Informatiker muss ich mich damit auseinandersetzen, wie ich komplexe, vernetzte Systeme sicher und verlässlich mache, wie ich wichtige Daten schützen kann; und ich muss über kurzfristige wie langfristige Lösungen nachdenken.  Im Gespräch mit der Industrie bekomme ich einen Eindruck davon, welche komplexen Nebenbedingungen es gibt, und welche Lösungen zumutbar sind; auch dies ist ein wichtiger und wertvoller Teil meiner Forschung.  Geht es jedoch darum, die konkreten Probleme "vor Ort" zu lösen, muss ich mich fragen, inwiefern ich aus einer Lösung ein allgemeines Prinzip ableiten kann.

Wäre ich Maschinenbauer in Braunschweig oder IT-Forscher im Silicon Valley, hätte ich vor Ort jede Menge "lokaler" Industriepartner, bei denen dies problemlos ginge – Firmen nämlich, die im Kernbereich meiner Forschung produktiv tätig sind, und die daher meine Interessen teilen, innovative, tragfähige, und möglichst allgemeine Lösungen zu finden.  Kümmere ich mich jedoch um die konkreten Probleme der Anwender, etwa der Bleistiftfirma, die ihre IT neuorganisieren muss, geht Zeit und Energie für die allgemeinen Lösungen verloren – und das sind die, die zu finden ich bezahlt werde.

Wenn ich es will, kann ich natürlich "vor Ort" auch mit IT-Anwendern arbeiten.  Ich mache einen Schwung Beratungsverträge mit der lokalen Industrie, und stelle billige Doktoranden ein, die dann die Probleme vor Ort lösen (und "nebenher" irgendwie promovieren).  Ich generiere jede Menge "Drittmittel" aus der Industrie.  Ob dies zu einem allgemeinen Erkenntnisgewinn führt, bleibt hintenangestellt – Hauptsache, die Zahlen stimmen.  Will ich das, und warum?

Die zweite Aufgabe der Universitäten ist es, junge Leute zu bilden – oder weniger vornehm, auszubilden.  Meine Kollegen und ich haben den Anspruch, Menschen zu produzieren, die die jetzigen und kommenden Herausforderungen der Informatik meistern können. Wir tun dafür, was wir können – und mit Erfolg: Unsere Absolventen können sich in der Regel aussuchen, wo sie arbeiten; und sie gehen dorthin, wo sie die beste Arbeit bekommen.  Firmen wie Google oder Microsoft sitzen nicht nur an angesagten Orten, sie zahlen auch sehr gut; und sie sorgen dafür, dass sich unsere Absolventen um nichts kümmern müssen, einschließlich Wohnung, Mahlzeiten und Wifi-Shuttle.  Unsere besten Absolventen sind weltweit begehrt, und sie wissen das.

Dies wiederum macht der "lokalen Industrie" zu schaffen, die nicht mithalten kann oder möchte.  Ein örtlicher Vertreter einer großen deutschen Telekommunikationsfirma hat mich vor kurzem besucht, und gefragt, wie es denn sein könne, dass so wenig unserer Absolventen sich bei ihnen vor Ort bewürben  – schließlich sei es doch eine spannende Herausforderung, das Zusammenspiel von nicht weniger als zwölf Alt- und Neusystemen zu orchestrieren.  Ich fragte zurück, ob er mit den Sozialleistungen etwa von Google mithalten könne.  Nun ja, sie würden nach Tarif bezahlen, hat er geantwortet, und Essen und Massage – nein, das sei nicht drin.  Und da ist das Problem.

(Was das ganze noch pikanter macht, war die Forderung eines IHK-Vertreters, wir mögen unsere Ausbildung weniger international gestalten, damit die Firmen "vor Ort" mehr Chancen hätten, unsere Absolventen anzuwerben.  Muss ich das kommentieren?)

Was die lokale Industrie will, ist die Lösung ihrer Probleme.  Das ist völlig legitim.  Was sie vermeiden möchte, ist einen Marktpreis dafür zu zahlen.  Es gibt sehr gute Absolventen, die ein Problem nach dem anderen lösen, doch die kosten Geld – und schlimmer noch, sie verlangen gute Arbeitsbedingungen und das Gefühl, etwas wichtiges zu tun.  Es gibt hervorragende Beratungsfirmen, deren Problemlösung man einkaufen kann; doch die kosten noch mehr Geld.  Wer fordert, Forscher an den Universitäten mögen doch bitte die Probleme "vor Ort" lösen, verlangt staatlich subventionierte Dienstleistungen – die in Konkurrenz zu Absolventen und IT-Industrie stehen.

Ich habe nichts gegen Subventionen, wenn sie als Investition dienen, also langfristig Gewinn versprechen.  Wenn ein Land, eine Universität, aber etwas langfristig Gutes für die Industrie "vor Ort" tun will, und dabei freie Forschung nicht nur nicht behindert, sondern unterstützt, gibt es einen anderen, weit besseren Weg, nämlich aus der Universität heraus Firmen zu gründen.  Eine Neugründung kann einerseits spannende Forschungsergebnisse vermarkten, und so Teil der Industrie vor Ort werden.  Sie kann aber auch Dienst- und Beratungsleistungen vor Ort anbieten, und so der Wirtschaft weiterhelfen. Eine Neugründung kann sich die Arbeitsumgebung schaffen, die die richtigen Absolventen anzieht.  Das Land freut sich über Arbeitsplätze und erhöhtes Steueraufkommen; die Universität profitiert durch Lizenzeinnahmen und einfacherer Legitimation ihrer gesellschaftlichen Relevanz.

Bin ich als Forscher mit einem Startup assoziiert, muss ich mich nicht fragen, wie ich Anfragen der Industrie im Universitätsalltag lösen kann; ich kann einfach auf die entsprechende Firma verweisen.  Ich habe ein Ohr an den zu lösenden Problemen, und kann meine Forschung anwendungsnäher gestalten, ohne den Anspruch auf Allgemeinheit aufzugeben.  (Wenn dabei eine neue Forschungs- oder Firmenidee abfällt, um so besser.)  Und ich kann den Absolventen, die nach ihrem Abschluss weiterhin spannende Arbeit machen möchten, die Startups "vor Ort" empfehlen.  Jeder kümmert sich um seine Aufgaben: Die Universität schafft Wissen, das Startup schafft Umsatz.

Wer also "vor Ort" wirken will, soll Firmengründungen unterstützen – zum einen durch Fördergelder, vor allem aber durch das Schaffen von Strukturen, die das Gründen vereinfachen.  Dazu gehören Anlaufstellen für Beratung und Information; Netzwerke und Veranstaltungen zum Finden von Mentoren, Mitstreitern und Investoren; bezahlbare Firmensitze in Uni-Nähe; und generelles Werben für die Fortführung der eigenen Ideen in einer eigenen Firma.  Spezielle Kurse für Firmengründer.  Mix-and-Match-Veranstaltungen zwischen Forschern und Betriebswirtschaftlern. Treffen mit erfolgreichen Gründern.  Macht Eure eigene Firma auf – und tut was "vor Ort"!



Eine Universität soll gründen, statt sich selbst als Firma aufzuspielen.  Wenn sich dieser Gedanke in den Hochschulleitungen durchsetzt, werden zukünftige Bewerber vielleicht gefragt, ob und wie sie helfen können, Firmengründungen zu unterstützen.  Und das wäre nicht das schlechteste.


Andreas Zeller ist seit 2001 Professor für Softwaretechnik an der Universität des Saarlandes, einer EXIST-Gründerhochschule in Saarbrücken.  Seine mehrfach ausgezeichneten Test- und Analyseverfahren werden in zahlreichen Unternehmen eingesetzt.  Die von ihm 2013 mitbegründete Testfabrik AG, ein Startup zum automatischen Testen von Web-Anwendungen, siegte 2014 im Europäischen Ideenwettbewerb für Startups.  

Die Firmengründung wurde durch den Gründer-Campus Saar an der Universität des Saarlandes unterstützt und durch einen EXIST-Forschungstransfer mitfinanziert.  Die Firma sitzt derzeit in einem der drei Starterzentren der Universität.  Neue IT-Gründungen profitieren zudem vom IT Inkubator der Max-Planck-Gesellschaft und der Universität des Saarlandes.



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